„Unverhofft kommt oft.“ So war das gestern Abend. Kaum jemand hatte damit gerechnet, und doch kam kurz vor Ende der Abendsitzung noch der „Bericht“ aus dem Ernennungsausschuss, der Ted N. C. Wilson als neuen Generalkonferenzpräsidenten vorschlug. Üblicherweise werden in unserer Kirche Personalvorschläge nicht in der Öffentlichkeit diskutiert. Man vertraut darauf, dass im Ernennungsausschuss offen geredet wurde und alle Aspekte zu einer Person auf dem Tisch waren. Wie im Artikel über den Ernennungsausschuss geschrieben, haben Delegierte jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, ihre eventuellen Bedenken dem Ernennungsausschuss vorzutragen. Dafür gab es offenbar keinen Bedarf und nach kurzer Zeit war Ted Wilson von 74,9% der abgegebenen Stimmen gewählt. Das Votum ist klar und unter demokratischen Gesichtspunkten zu respektieren. Wilson ist seit 2010 im Amt und war schon vorher in Deutschland kein Unbekannter. 2017 hat er mit einer internationalen Reisegruppe und deutscher Beteiligung Deutschland im Lutherjahr besucht. Neben solchen freundlich-entspannten Begegnungen gab es in der Vergangenheit auch herausfordernde Momente, als es zum Beispiel um die Bibelschulbetrachtung oder die Ordination der Pastoren und Pastorinnen ging. Jetzt schauen wir auf einen neuen Abschnitt mit dem neugewählten Präsidenten.
Kontinuität als Programm
Am Dienstagvormittag, dem 7. Juni, wurden zudem der Sekretär (Erton Köhler) und auch der Schatzmeister (Paul Douglas) mit jeweils über 90% der abgegebenen Stimmen wiedergewählt, so dass man grundsätzlich davon ausgehen kann, dass es seitens der Weltkirchenleitung Kontinuität beim bisherigen Kurs geben wird. Manche werden das begrüßen, andere befürchten.
Entgegen allen Vorwürfen ist Deutschland nach meinen Beobachtungen ein Land, das der Generalkonferenz eher strenger folgt als andere. In den US-amerikanischen Gemeinden ist zum Beispiel die herbstliche Gebetswoche mit der gedruckten Lesung nahezu unbekannt. Universitätsgemeinden halten in den USA zwar Gebetswochen mit eigenen Sprechern ab, aber jenseits dessen wird die Gebetswoche allenfalls als Empfehlung gesehen, während es in deutschen Gemeinden durchaus Diskussionen geben kann, ob es erlaubt ist, von der Lesung der Generalkonferenz abzuweichen.
Schnell, schneller, am schnellsten
Die Morgenandacht kam von Dwaine Esmond, einem der stellvertretenden Leiter des Ellen White Estates. Immerhin ein jüngerer Mann, der mit farbigem Temperament zu Werke ging. Ich hatte Mitleid mit allen, für die Englisch eine Fremdsprache ist. Klaus Schmitz, einer der deutschen Übersetzer, hatte zum Glück ein Redemanuskript und war dennoch sehr gefordert, denn Deutsch ist ungefähr 20% länger als Englisch. Wie soll man all die deutschen Wörter unterbringen, wenn der Sprecher pausenlos ein derartiges Tempo vorlegt und das noch in so kompakter Sprache? Sein Hauptanliegen war die Verkündigung der dreifachen Engelsbotschaft aus Offenbarung 14. Das rief er mit enormen Enthusiasmus und einem Feuerwerk an vorformulierten Sätzen ins Publikum, dass ich fast Lust bekam, ihn herauszufordern, sich einfach einmal selbst in seinem Sprechtempo nachzusprechen.
Alles ist Mission
Auf die Andacht folgte ein Bericht des Sekretärs Erton Köhler und der verschiedenen Abteilungen, die zu seinem Bereich gehören. Das ist anders angelegt als in Deutschland traditionell üblich. In den deutschen adventistischen Strukturen sind Vorsteher (Präsident), Sekretär (ggf. Vizepräsident) und Schatzmeister (Finanzvorstand) die traditionelle Konstruktion. Je nach Vereinigung oder Verband können den Verantwortungsträgern noch zusätzliche Bereiche (Abteilungen) zugeordnet sein. Weiter gibt es die Abteilungen wie Gemeindeaufbau (Heimatmission), Jugend und Kinder usw. Bei der Generalkonferenz kümmert sich das Sekretariat nicht nur um administrative Belange, sondern Weltmission mit allen Facetten gehört dazu, was Erton Köhler auch besonders wichtig war. So traten im Rahmen des Sekretariats u.a. Gary Krause (Global Mission) ans Mikrofon oder Oscar Osindo, Direktor des Instituts für Weltmission, das dafür sorgt, dass potenzielle Missionare ausgebildet werden. Alle Beteiligten gestalteten ihren Bericht in einer Mischung aus Vortrag und Videos.
Nicht im Blindflug
Durch die erhobenen Daten könne man Trends und Bedürfnisse recht gut erkennen, hießt es. David Trim, bekannt für seine gründlichen Statistiken, musste sich dieses Mal aus Zeitgründen nur auf das Nötigste beschränken und konnte deshalb auch Nachfragen nur äußerst begrenzt beantworten. Der Grundtenor war: Die Kirche wächst in allen Bereichen weiter. Die Gliederzahl liegt bei rund 22 Millionen. „Es gibt Trends, die gesehen werden und es gibt Bereiche, wo wir besser werden können und müssen,“ so Trim. Claude Richli, eine „Leihgabe“ aus unserer Division an die Generalkonferenz, versicherte der Versammlung, dass die Sekretariate überall auf der Welt auf höchstem Niveau arbeiten. Dieser Hinweis hat damit zu tun, dass die Mitgliederzahlen weltweit zuverlässiger in dem Sinne werden, als es auf Betreiben der Generalkonferenz in den verschiedenen Teilen der Welt Überprüfungen gibt, inwieweit die gemeldeten Mitgliederzahlen realistisch sind.
Karen Porter, beigeeordnete Sekretärin bei der Generalkonferenz und eine der wenigen Frauen, die bislang die Bühne betreten haben, berichtete von den Missionarsfamilien in verschiedenen Ländern und deren hohem Einsatz. Es trat dabei auch zutage, dass der prozentuale Anteil von Missionaren pro Gemeindeglied heute weit geringer als in früheren Jahren ist. Um dem etwas Abhilfe zu schaffen, gibt es VividFaith, eine digitale Plattform, wo man missionarisch Interessierte mit offenen Stellen zusammenbringen möchte. Wie es scheint, gibt es zurzeit jedoch mehr Interessierte als offene Stellen.
Auf Nachfrage, wie es mit der Struktur weitergehen und ob es auch in unserer Kirche so etwas wie Glasnost und Perestroika geben wird, erwiderte Erton Köhler, dass wir lieber mit biblischen Begriffen und welchen aus dem „Geist der Weissagung“ (gemeint sind Publikationen von Ellen White) umgehen würden und es keine Revolutionen geben werde, sondern die Kirche wie ein Riese sei, der sich eben langsam bewegt.
Schließlich wandte einer der Delegierten aus einem der südlichen Länder ein, dass man bei all den schönen Dingen am Vormittag kein Wort über „Umwelt“ gehört habe. Das räumte Erton Köhler ein, wirkte dabei ein wenig verloren und schließlich hatte die ganze Diskussion eh schon viel zu lange gedauert. Der Sitzungsleiter drängte darauf, den Zeitplan nicht völlig durcheinander zu bringen. So blieb der Gedanke der Verantwortung für die Umwelt im Raum hängen.
Spontane Wertschätzung
Weil er selber zur Wahl stand, räumte Vizepräsident Thomas Lemon den Stuhl des Sitzungsleiters und rief ad hoc Ella Simmons auf die Bühne. Die übernahm souverän und leitete die restlichen Abstimmungen, z.B. wurden die Vizepräsidenten gewählt, unter ihnen Artur Stele, Absolvent von Friedensau und Audrey Andersson, die einzige Frau in der Runde. Spontan schritt eine Delegierte zum Mikrofon, um Ella Simmons als erster Vizepräsidentin unserer Kirche für ihre Leistung zu danken. Dem stimmten die Delegierten mit „standing ovations“ für 17 Jahre treuen Dienst zu. Ella Simmons war von der Wertschätzung gerührt und bedankte sich artig.
Im weiteren Verlauf des Tages geht es um trockene, aber manchmal enorm wichtige Formulierungen in den „bylaws“, also dem kircheninternen Regelwerk, denn für manche Gebiete ist scheinbar selbst die Ordination von weiblichen Diakonen oder Ältesten noch immer problematisch und ist doch schon seit fast 50 Jahren Beschlusslage. Insofern ist solch eine Weltsynode immer auch ein wenig Bildungsstätte.
Matthias Müller