June 12, 2022

61. Generalkonferenz-Vollversammlung – Gesichtspunkte

Matthias Mueller
Blick in die Halle mit den Delegierten | Foto: Matthias Müller

Eine umfassende Bewertung der 61. Weltsynode der Siegenten-Tags-Adventisten wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre ergeben, denn sagen und schreiben kann man viel. Die Frage ist, welche Auswirkungen auf das Leben einer Ortsgemeinde von dem Geschehen in St. Louis eintreten. Das zeigt sich erst im Laufe der Zeit. Aber Tendenzen sind schon erkennbar.

Teamarbeit bei Adventist Review

Das geschah hinter den Kulissen: Es war eine Freude, jeden Morgen das Team der rund 50 Mitarbeiter von Adventist Review zu erleben. Dazu gehörten Redakteure, Webdesigner, Fotografen, Programmierer usw. Auch wenn im Laufe der Woche bei dem einen oder der anderen die Augenringe tiefer wurden – es war motivierend, eine Gruppe von Mitarbeitern zu erleben, die mit allen Kräften daran arbeitete, jeden Tag während der Konferenz die Druckausgabe des sogenannten „bulletins“ pünktlich bis 18:00 Uhr mit Text, Design und Fotos druckfertig zu haben. Dann ging es an eine lokale Druckerei, die nächtens das 48-seitige Heft in anspruchsvoller Qualität herstellte. Jeden Morgen, wenn die Delegierten den „Dom“ betraten, erhielten sie das neue Heft mit Rückblick auf den vergangenen Tag, inklusive einer Sondernummer für den Sabbat. Der Ton lag auf der Teamarbeit und dem Zusammenhalt.

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Die sechs gedruckten Ausgaben des Tagesheftes der Generalkonferenz-Vollversammlung 2022 | Foto: Matthias Müller

Parallel dazu gingen aktuelle Beiträge in die social media Kanäle und auf die Webseite von Adventist Review. Erstmalig gehörten auch neun Auslandskorrespondenten zum Team, die für ihre jeweilige Landessprache auf der Review-Seite Kommentare und Videos veröffentlicht haben. Das war auch meine Rolle.

Folgen der Pandemie

Wegen der Corona-Pandemie musste die Vollversammlung bis ins Jahr 2022 verschoben werden. Das hat zur Folge, dass es bis zur nächsten Konferenz nur drei Jahre sind. Die soll, wenn möglich, 2025 stattfinden. Zur Entscheidung, die Messe mit den vielen Ausstellern abzusagen und die diesjährige Konferenz statt der üblichen sieben Arbeitstage in nur vier Tage zu pressen, hat neben finanziellen Fragen auch Covid-19 beigetragen. Von der Bühne wurde seitens der Gesundheitsabteilung der Generalkonferenz dringend darum gebeten, sich bei Corona-Symptomen strikt an das vorgegebene Prozedere zu halten. Wir als Mitarbeiter wurden alle mindestens einmal während der Woche getestet. Und ja, es hat vereinzelt Corona-Fälle gegeben, von einer Massenansteckung war jedoch nichts zu bemerken. Gott sei Dank!

Was auffiel: der Zeitdruck, der es Sitzungsleitern und Delegierten schwermachte, anstehende Fragen ausreichend zu diskutieren. Es gab Delegierte, die sich in ihren Rechten beschnitten fühlten. In einem Fall musste sich der Sitzungsleiter entschuldigen, weil er einen Delegierten zweimal abgebügelt hatte und erst durch Videobeweis und gründliches Nachprüfen der Mitschrift zum Schluss kam, dass seine Entscheidung nicht richtig war. Alles kein böser Wille, ich erkläre mir das einfach durch den Zeitdruck. Es war zu spüren, dass man seitens der Leitung keine großen Diskussionen aufkommen lassen wollte, sondern das Ziel hatte, eine bestimmte Agenda durchzubringen. Es wäre der Kirche zu wünschen, dass diese Verhältnisse nicht zum Dauerzustand werden.

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Farbenfrohe Kleidung von Delegierten beim Flaggenmarsch zum Abschluss der 61. Weltsynode der Siebenten-Tags-Adventisten | Foto: Adventist Review

Da selbst am Sabbat die große Halle nur mäßig besetzt war, kam bei denen, die vorherige Vollversammlungen miterlebt hatten, nicht dieses große Gefühl der Gemeinschaft früherer Jahre auf. Der oft als Höhepunkt erlebte Schlussmarsch der Fahnenträger in teils prachtvoller Kleidung verlief dieses Mal statt über die große Bühne ein wenig chaotisch durch die Gänge zwischen den Sitzblocks. Der Zug fuhr sich am Ende zwischen all den Handyfotografen fest. Die gewaltigen Chöre und großen Orchester der Vergangenheit wurden durch einen kleinen Chor an der Seite und ein ebenso kleines Orchester ersetzt. Allerdings hatte man im Vorfeld verschiedene Chöre und Ensembles auf der ganzen Welt zur selben Playbackmusik Titel einsingen lassen, die dann in Zoom-Manier mit dem Live-Vortrag kombiniert wurden. Grundsätzlich eine gute Idee bei diesen Verhältnissen und auch gut gemacht. Aber es zeigte sich hier wie auch bei den nun weithin üblichen Gemeinde-Hybrid-Veranstaltungen, dass eine Leinwand, sei sie noch so groß, eine Live-Aufführung nicht ersetzen kann. Man bleibt immer ein wenig distanziert.

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Chor und Orchester unter der Leitung von Williams Costa (Generalkonferenz) bei der 61. Weltsynode 2022 | Foto: Matthias Müller

Dauerbeschallung

Aus irgendeinem Grund hatten sich die Verantwortlichen entschieden, dass es während des ganzen Tages in der Halle keine Zeiten der Ruhe – abgesehen von echten meditativen Momenten und Gebetszeiten – geben sollte. Selbst während des Gebets wurde mitunter Orgel gespielt wie auch während der Abstimmungen, und zwar meist irgendwelche Bearbeitungen von traditionellen Kirchenliedern des 19. Jahrhunderts. Wenn eine echte Veranstaltungspause war, wie etwa zur Mittagszeit, wurden Videos abgespielt, die adventistische Chöre und Solisten aus aller Welt eingesandt hatten. Mir tat es leid, dass die viele Mühe nur zur Pausenfüllung diente. In einem Fall spielte sogar ein Live-Streichquartett auf der Bühne, als alle Delegierten für eine Pause aufgestanden waren und sich angeregt unterhielten. Die armen Musiker hatten geübt, waren angereist und das war nun ihr Auftritt! Hier gibt es dringend Verbesserungsbedarf.

Apropos Musik: Während, wie schon geschildert, die Orgel-Live-Musik dem Traditionellen verhaftet war, kamen viele Musikbeiträge über die Leinwände erstaunlich frisch und professionell daher, und das Schlagzeug war nicht zu überhören. Scheinbar darf man es nur nicht sehen.

Regionalisierung = Polarisierung?

Bei den Abstimmungen zu verschiedenen Themen war an den Reaktionen aus den verschiedenen Sitzgruppen, die nach Weltregionen angeordnet waren, zu erkennen, was jeweils gefiel. Der in manchen deutschen Gemeinden geächtete Applaus brandete immer wieder auf, sei es nach Abstimmungen oder wenn es um Personen aus den jeweiligen Regionen ging. Gerson Santos von der Generalkonferenz, der die Verabschiedung der rund 50 Geschwister moderierte, die seit der letzten Vollversammlung in Rente gegangen waren, forderte nach der kurzen Beschreibung des Werdegangs jedes Neu-Pensionärs zum Klatschen auf. Mir ging durch den Sinn, was Ted Wilson wohl gedacht haben mag, als er verdiente Mitarbeiter seines Alters mit Urkunde, Handschlag und Geschenk in den Ruhestand verabschiedete.

Die Motivation von Adventist Review, auch nicht-amerikanische Korrespondenten zur Mitarbeit einzuladen, kommt aus dem Motiv, einen internationalen Brückenschlag zu versuchen. Der Zusammenhalt der Kirche über alle Kontinente hinweg ist kein Selbstläufer. Das Beispiel des Sabbatschulheftes mag als Beleg dienen. Wir in Deutschland empfinden es als nicht günstig, zur Weihnachtszeit über die Vernichtung der Gottlosen im Endgericht zu sprechen (wie 2022 vorgesehen), zumal wenn wir über die sozialen Medien zu den Gottesdiensten öffentlich mit diesen Themen einladen. Clifford Goldstein, von mir daraufhin angesprochen, verwies auf die Afrikaner, für die Weihnachten keine solche Bedeutung hätte, dass man zu dieser Zeit im Heft darauf eingehen müsste. Da wird Internationalität zum Problem.

Auch die Sprache ist eine Herausforderung. Ich bin mit der amerikanischen christlichen Welt nicht gut genug vertraut, um einschätzen zu können, ob das ein generell christliches oder ein speziell adventistisches Phänomen ist. Hier wurde jedenfalls von Mission als „ingathering of souls“ gesprochen, also dem „Einsammeln von Seelen“. Von den „frontline workers“, also den „Arbeitern an der Front“ hat man sich auf Einspruch der Delegierten hin verbal verabschiedet, Mission ist kein Krieg. Stattdessen wurde nun eine Formulierung gewählt, die beschreibt, dass dies Menschen sind, die bei der Verkündigung des Evangeliums im direkten Kontakt mit anderen Menschen sind. Mit der Abkürzung TMI (total member involvent) hat man auch für amerikanische Verhältnisse danebengegriffen, denn ich habe selber in einer amerikanischen Sabbatschule zwei Wochenenden vor dem Beginn der Generalkonferenz erlebt, dass dieses Akronym in der Alltagssprache für „too much information“ (wörtlich: zu viel Information) im ablehnenden Sinne von „der nervt“ oder „es reicht jetzt“ verwendet wird. Im Deutschen ist das Motto schwer zu übersetzen, wenn man nicht an einen alten braunen Slogan erinnern will, wo es auch um das „Totale“ ging.

Noch immer nicht zur Ruhe gekommen?

Einen aus meiner Sicht beunruhigenden Trend möchte ich noch ansprechen. Die Pharisäer meinten es gut, als sie das Gesetz mit noch weiteren Gesetzen schützen wollten. Es führte aber im Laufe der Zeit zu Verrenkungen und Doppelbödigkeit. Jesus bedachte sie mit scharfer Kritik.

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Titelseite des Buches "Was Adventisten glauben" | Foto: Advent-Verlag Lüneburg

Unsere Grundlehren des Glaubens stellen eine gute Übersicht dar, aber mir scheint ihre Rolle überbetont. Wir bauen zu sehr auf solche Listen. Dabei haben wir doch schon vor der Existenz der 27 bzw. später 28 Glaubensgrundsätze mit teils großen persönlichen Opfern den Sabbat gehalten. Die Bibel hat damals als Grundlage für solche manchmal schweren Entscheidungen gereicht. Jetzt wartete der Generalkonferenzpräsident in seiner 75 Minuten langen Abschlusspredigt mit tatsächlich 25 eigenen Glaubensgrundsätzen auf, die sich teils mit den 28 überlappen. In den 28 Grundsätzen sind bereits ein Artikel über die Bibel als unfehlbares Gottes Wort (Nr. 1) und einer über die Gabe der Weissagung, sogar mit Nennung des Namens von Ellen White (Nr. 18), enthalten. Warum muss dann bei jeder Generalkonferenz per Beschluss immer wieder neu bekräftigt werden, dass wir das noch glauben? Sind wir dabei, einen zusätzlichen Schutzzaun für unsere eigenen Regeln zu errichten? Ted Wilson fühlte während seiner Predigt wohl eine Art Paulus-Moment (siehe Gal. 1,8), als er forderte, dass die Delegierten unbedingt darauf achten sollten, dass auch ein künftiger Generalkonferenzpräsident niemals verlangen dürfe, dass diese zusätzlichen Bekräftigungen nicht mehr erfolgen. Wer immer wieder Selbstvergewisserung braucht, zeigt, dass ihn Unsicherheit treibt. Dazu gibt es doch keinen Grund! Auch die wiederholten Warnungen vor der Ökumene sind in meinen Augen Ausdruck unnötiger Befürchtungen. Denn wenn ich weiß, an wen und was ich glaube, habe ich keine Scheu vor der Begegnung mit Andersgläubigen. Im Gegenteil, ich bin bei solchen Begegnungen immer wieder ausdrücklich eingeladen worden, die adventistische Sicht darzulegen. Warum also die Sorge? Könnten wir nach 159 Jahren nicht einfach mal sagen: „Das sind wir“ – und gut?

Matthias Müller

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